Die Muscle Cars des Jahres 1970

DIE "MUSCLE CARS" MODELLJAHR 1970 AUS DAMALIGER SCHWEIZER SICHT

Als ich vor kurzem in meinem Archiv herumblätterte, fiel mir ein Kurztest der AUTOMOBIL-REVUE (AR) vom April 1970 in die Hände. Es ist heute sicher auch für Sie interessant nachzulesen, wie die jetzt raren Sammlerstücke in der damaligen Sicht und als Neuwagen vom AR-Testteam beschrieben wurden. Es handelt sich um die folgenden Wagen:

Ford Mustang MACH 1 428 und 351 - Chevrolet Chevelle SS 396

Dodge Challenger R/T 383 - Oldsmobile 4-4-2

Interessant, dass die AR schon 1970 den Ausdruck "Muscle-Car" gebrauchte und festhielt: Sie besitzen Fahrleistungen, die nur wenigen, zwei bis dreimal teureren europäischen Luxus-Sportwagen vorbehalten sind, Dank ihrer einfacheren Mechanik bliebt ein günstiger Unterhalt gewährleistet. Die "AR" wählte 5 Modelle aus, deren gemeinsames Merkmal der über 300 PS leistende V8-Motor bildete. In der Preisklasse zwischen 20'000 und 30'000 Franken fand man kaum europäische Produkte mit vergleichbaren Fahrleistungen. Zu den Messergebnissen bemerkte die "AR" in der Einleitung, dass sie keineswegs optimal waren. Die Autos waren weder vorbereitet noch eingefahren und die Tests fanden bei feuchtem oder gar nassem Strassenbelag statt. Fotos zeigen den Oldsmobile dann auch in zentimetertiefem Schnee! Die Resultate sind aber dennoch vielsagend.

Ford Mustang Mach 1 428 Cobra Jet - Fr. 25'900.-- Der schnellste Wagen der 5er Serie.

Der 7-Liter-V8-Motor war mit Motorölkühler und Spezialölwanne mit 7 Liter Inhalt ausgestattet. Original Text: Ein Druck auf das Gaspedal und man wird durch die atemberaubende Beschleunigung in den Sitz gedrückt. Das elastische und blitzschnell reagierende Riesenaggregat entfaltet ab 5000 U/min ein eindrückliches Donnern, das dem unerhörten Leistungspotential voll entspricht. Aus dem Stand braucht der Wagen in der Stellung Drive bloss 6 Sekunden, um die 100-km/h Marke zu erreichen; 8,4 Sekunden später werden 160 km/h überschritten. Für den Kilometer mit stehendem Start benötigt der Mustang nur 25,9 Sekunden; die Geschwindigkeit beträgt dann schon mehr als 200 km/h! Die unterdruckgesteuerte Kaltluftinduktion verleiht dem Wagen bei 200 km/h eine zusätzliche Beschleunigung, so dass die Spitze von 224 km/h bald einmal erreicht ist. Die Höchstdrehzahl wird durch hydraulische Ventilstössel auf 6000 U/min. beschränk. Interessant ist weiter zu lesen, dass der angemessene Benzinverbrauch bei meist scharfer Fahrweise 25 l/100 km betrug. Zum Fahrverhalten war von bis zur Spitzengeschwindigkeit unbeirrbarem Geradeauslauf und dank hinteren Kurvenstabilisator eliminiertem Untersteuern zu lesen. Der Wagen war mit den neuen Gürtelreifen mit Diagonalkarkasse des Typs Good -Year ausgerüstet. Die präzise Servolenkung vermittelt einen guten Strassenkontakt, doch empfinden wir die Untersetzung (4 Umdrehungen von Anschlag zu Anschlag) als etwas zu indirekt. Der Mach 1 Fastback bot vorne reichlich Platz, hinten waren nur zwei Notsitze. Die vorderen Sitze boten guten Seitenhalt, zu steil angeordnet ist die nicht verstellbare Rückenlehne. Die Lichtanlage unseres Mustang entsprach nicht den Fahrleistungen; als hervorragend empfanden wir die Scheibenwischer mit elektrischer Dusche..., was damals noch nicht selbstverständlich war!

Ford Mustang Mach 1 351 - Fr. 25'600.-- Im Gegensatz zum 7 Liter weit höhere Laufkultur.

Noch heute aussergewöhnlich, bot Ford schon damals Intervall-Scheibenwischer mit 12 Positionen an! Im Gegensatz zum 7 Liter hat der 5,8 Liter einen automatischen Chocke und trotz der hohen Verdichtung von 11.0:1 traten nie Klopferscheinungen auf. Der unerhört weiche Motor entwickelt bei starkem Beschleunigen ein gedämpftes Donnern, das aber ein Abhören von Radio oder Tonband keineswegs stört.

Mit einer Kaltluftinduktion ausgerüstet, verfügte unser Prüfwagen über ein Temperament, wie man es eigentlich von einem 300-SAE-PS Motor nicht erwartet hätte, er war mit dem neuen Cleveland ausgerüstet! Mit einer Person Belastung brauchte er von Stillstand 7.2 sec. auf 100 km/h, 17.5 sec. auf 160 km/h und nur 28.9 sec, um 200 km/h zu erreichen; die erhebliche Spitze betrug genau 220 km/h und der Benzinverbrauch rund 20 Liter/100km. Dank des grossen Wasserkühlers und der kompakten Bauweise traten keinerlei Übrehitzungsprobleme auf bei Vollgasfahrten auf der Autobahn. Das muss man sich heute mal vorstellen, PEDAL TO THE METAL auf unserer Autobahn! Die Sache mit der Wassertemperatur war damals bei den Amerikanern das Kriterium Nummer 1.

Chevrolet Chevelle Malibu SS 396 - Fr. 24'700.-- Die Dopplescheinwerfer lassen auch Nacht eine schnelle Fahrweise zu!

Der 6.6 Liter V-8 mit 350 HP drehte mühelos über 6000 U/min. Selbst den USA dürfte das Powerteam des Chevelle kaum überboten werden.... Der Wahre Hochleistungscharakter entpuppt sich beim gänzlichen Niederdrücken des Gaspedals; ein kerniges Donnern begleitet das überaus drehfreudige Triebwerk bis zur schnell erreichten Spitzengeschwindigkeit von 214 km/h. Diese wird übrigens einzig durch die für Europa zu kurze Achsübersetzung von 3.31:1 (in den USA ist nur diese erhältlich) limitiert; der Motor dreht dabei schon über 6000 U/min, was kaum als Dauerdrehzahl geeignet ist. Für schnelles Autobahnfahren empfiehlt sich daher, durch den Importeur eine längere Achsuntersetzung von 3.73:1 einbauen zu lassen. Dies dürfte eine starke Erhöhung der Spitze auf etwa 230 km/h bewirken. Wir sehen bald 30 Jahre späte, dass diese MULCLE CARS damals ihre Muskeln noch gegen die exklusiven europäischen Edelsportwagen spielen lassen durften. Was muss das für ein Heizen auf unseren Autobahn-Teilstücken gewesen sein?

Weiter geht der Fahrbericht mit dem Beschleunigungswerten: 0-100 km/h in 6.9 sec. ;bis 160 km/h 16.3 sec. und bis 200 km/h in 31.4 Sekunden. Der AR Kommentar: Die Werte sind für ein immerhin 1.8 Tonnen schweres Fahrzeug hervorragend. Dabei stellt der 350 HP V-8 nur die viertstärkste Version der im Chevelle SS erhältlichen Motoren dar; ein 7.4 Liter V8 kostete dann noch zusätzliche Fr. 400.--. Der Testwagen war mit Uniroyal Reifen ausgerüstet, diese besassen einen unrunden Lauf und verursachten ab 120 km/h Vibrationen in der Aufhängung. Im Gegensatz zu den Good-Year Reifen des Mustang sind sie lautloser, besitzen aber eine etwas weniger gute Adhäsion auf nasser Fahrbahn. Ebenso sind sie empfindlicher auf Längsfugen, wie Tramschienen und dergleichen, was Lenkkorrekturen erfordert. Und so erfahren wir nebenbei erst noch etwas über die Reifenqualität in den siebziger Jahren. Inzwischen sind heute einige dieser Reifen wieder als Reproduktionen erhältlich, damit wir unsere Amerikanerwagen auch in dieser Hinsicht wieder originalgetreu bereitstellen können. Nun noch kurz zum Innenraum. Auch beim Chevelle wird bemerkt, dass die Rückenlehne nicht verstellbar ist, was bei den Amerikanern noch durchaus üblich war. Hinter war Platz für zwei bis drei kleinere bis mittlere Personen.

Dodge Challenger R/T 383 - Fr. 24'900.-- Ein ausgewogenes und sicheres Fahrverhalten.

Der sportliche Viersitzer ist breit und relativ kurz und bietet etwas mehr Innenraum und einen grösseren Kofferraum als seine direkten Konkurrenten, damit sind jetzt Mustang , Camaro und Barracuda gemeint. Der Dodge bot wahlweise eine sechsfache mechanische Sitzverstellung an (wow!).

Geprüft wurde der 6.3 Liter mit 340 SAE PS. Sehr aufschlussreich sind die damaligen Aufpreise für die stärkeren Motoren in Franken: 440er mit 380 PS = +900.--; 440 Six Pack 395 HP = +1700.--; sowie der legendäre 426 Hemi mit 341 HP für +3600.--. Sie sehen, der Hemi war schon vor 3 Jahrzehnten seine Legende und der Aufpreis für den Motor alleine betrug fast 15% des Kaufpreises eines Komplettfahrzeuges!

Weiter zum 383er: Das weiche und bis 6000U/min drehfreudige Aggregat hat das beste Durchzugsvermögen bei mittleren Drehzahlen. Im gesamten Bereich bleibt der Motor laufruhig. Eine Reisegeschwindigkeit von 200 km/h entspricht demnach nur etwa einer Drehzahl von 4600 U/min! Wegen schlechten Wetterbedingungen musste das AR-Testteam auf genaue Messungen verzichten: wie Probemessungen zeigten, dürften sich die Beschleunigungswerte mit denen des Chevelle SS 396 vergleichen lassen. Die Spitze lag bei 220 km/h und der Verbrauch war bei schneller Fahrweise meist über 20 l/100 km. Der Tank mit nur 68 Liter gewährleistet nur eine beschränkte Reichweite. Der handliche Wählheber auf der Mittelkonsole liess bei unserem Testwagen an Präzision zu wünschen übrig. Das nicht sehr wirksame Sperrdifferential arbeitet auf glitschigem Belag mit einem unangenehmen Rattern. Der Challenger besitzt ein ausgewogenes und sicheres Fahrverhalten mit ausgezeichnetem Geradeauslauf. Der R/T ist straff gefedert und ausgezeichnet gedämpft. An der Hinterachse bemängelten die Tester Roll- und Poltergeräusche bei mittleren Unebenheiten. Die formschöne Innenausstattung des Challenger macht einen robusten Eindruck... der Vorderraum bietet zwei Personen reichlich Platz und ist überdurchschnittlich breit.

Oldmobile 4-4-2 HURST SHIFTER - Fr. 28'900.--: Die drei Vorwärtsgänge des Automatikgetriebes konnten mechanisch und ohne Verschaltgefahr blitzschnell eingelegt werden.

Das teuerste Auto in der Gruppe verkörperte den besten Kompromiss zwischen Fahrleistung und Komfort. Der 7.4 Liter stammte aus dem frontgetriebenen Toronado und war eher auf Laufkultur als Höchstleistung ausgelegt. Die Tester bemerkten, dass der Motor die 375 SAE PS nicht ganz zu erreichen schien (!). Ein völliges Fehlen von Vibrationen und der weiche Lauf erinnerten stark an einen Drosselmotor; erst im Bereich von 5000 U/min sei ein gedämpftes Rauschen hörbar gewesen. Das bullige Drehmoment von knapp 70 SAE mkg ermöglichte die ausgezeichnete Beschleunigung derart unaufdringlich, dass man den Werten kaum traut. Etwas enttäuscht hat uns die Spitzengeschwindigkeit von "nur" 215 km/h; in Anbetracht der 375 PS hatten wir mehr erwartet. Da die Spitze bei einer Drehzahl von etwa 4800 U/min lag. Hielten die Tester den 4-4-2 für das ideale Langstreckengefährt, was sie mit dem Satz krönten: ... hat man doch selbst bei der Höchstgeschwindigkeit kaum das Gefühl, besonders schnell zu fahren! Verglichen mit dem Chevelle sei der Olds mehr auf Federungskomfort ausgelegt worden, dennoch erlaubt das gesunde Fahrverhalten ein problemloses Auskosten der Leistung. Was ist das doch damals für eine schöne Zeit gewesen, in der man ohne ein schlechtes Gewissen dreihundert und mehr PS tagtäglich immer wieder ziehen lassen konnte! Der Wagen schluckt sowohl kleine wie auch grosse Unebenheiten bestens. Dank der gut isolierten Aufhängung sind nur gedämpfte Rollgeräusche im Wageninnern hörbar. Das Reisemobil hatte einen Kofferraum, der das Gepäck von drei bis vier Personen aufzunehmen vermag. Der Finish unseres Testwagens war von sehr guter Qualität, was die Tester bei den anderen Wagen nicht behaupten konnten. Die Marke Oldsmobile war schon immer en einem höheren Segment angesiedelt.

Zum Abschluss bemerkte der Redaktor Pierre-Yves Ringer in dem Artikel in der AUTOMOBIL-REVUE: Unser Querschnitt durch den 70er Jahrgang veranschaulicht besonders deutlich den wachsenden Trend zur Sportlichkeit in den USA. Ob es sich nun um den bulligen Mustang, den komfortablen Chevelle, den eleganten Challenger oder den luxuriösen 4-4-2 handelt. Eines steht fest: diese überaus preisgünstigen Amerikaner besitzen nun ein Fahrwerk, das den hohen Leistungen absolut gewachsen ist. Wie sich doch die Zeiten geändert haben. Schon mit den Jahrgängen von 1973 war es aus mit den MUSCLE CARS. Für über ein Dutzend Jahre mussten wir auf Leistungen über 300 PS in dieser Wagenklasse verzichten. Wenn wir heute mit diesen Wagen mit der Bereifung aus der damaligen Zeit auf der Strasse verkehren, beginnt das Jammern der Good-Year oder Firestone schon bei moderaten Geschwindigkeiten. Wir sehen schon daraus, wie sich doch das Fahrverhalten und natürlich auch der Verkehrsfluss geändert hat. Erst heute bieten der Mustang und Camaro/Firebird mit ihren Spitzenmotoren wieder etwa 310 PS an. Was aber gerade so erstaunlich wie erfreulich ist, ist doch die Tatsache, dass diese Baumuster unter dem gleichen Namen dreissig Jahre überlebt haben. Freuen wir uns auf die Zukunft mit Doppelnockenwellen- und Mehrventilmotoren sowie Supercharger.

Ich möchte es nicht unterlassen, der Redaktion der AR, Herr Nötzli, zu danken, dass wir Ausschnitte des Textes zitieren und einige Fotos übernehmen durften.